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Der vierte und fünfte Tag waren die intensivsten. Ich war so eingeschwungen auf die Sätze, dass es ein unbeschreibliches Gefühl war. Ganz im Einklang mit den Sätzen und einer Stille in mir, die ich so noch nicht kannte. Einmal mehr wurde mir die Kraft der Worte bewusst. Wie rede ich eigentlich täglich mit mir? Was sage ich zu mir? Welche Worte wähle ich für mich? In diesem Einklang hatte ich das Gefühl, dass mir nichts und niemand etwas anhaben kann. Ich fühlte mich innerlich stark und einfach so ausgeglichen und in Balance, dass ich es gar nicht merkte, wie sich ganz sanft und scheinbar unbemerkt eine andere gute Freundin von mir mit einschlich: nämlich die innere Stimme, die sich danach sehnt, dass es immer so bleibt … dass dieses Gefühl, diese Verbundenheit mit mir, diese innere Leichtigkeit niemals aufhören möge … ohne dies bewusst zu tun, war dein ein „Habenwollen“ … und als ob mich mein Körper davor bewahren wollte, ins Anhaften abzudriften, und mich darauf aufmerksam machen wollte, dass einfach nichts ewig andauert, machte sich mein Rücken bemerkbar. Ich hatte das Gefühl, wenn ich eine falsche Bewegung mache, dann „schießt die Hexe zu“. Und sofort fand ein innerer Wandel statt: denn genau das, diesen Hexenschuss, wollte ich um nichts in der Welt haben … also: Widerstand, Nichthabenwollen, Angst, Enge, Verkrampfung … Wow! Was für eine Bandbreite und vielfältige Palette an Gefühlen da in mir zum Vorschein kam! Es gelang mir dies alles als neugierige Forscherin
zu beobachten und auch innerlich zu benennen, was da alles in mir los war. Und ich war erstaunt und wirklich beeindruckt von meinem Körper – von seinen Signalen und kleinen Botschaften, für die ich im Laufe der vergangenen Jahre so empfänglich geworden bin. Doch nicht nur das, es gelang mir, meinen Widerstand gegen das körperliche Empfinden in meinem Rücken wahrzunehmen und ihm mit Freundlichkeit zu begegnen. Ich hatte vollstes Verständnis für meine Reaktion – natürlich wollte ich gerade jetzt in diesem so wunderbaren Retreat nicht ausgeknockt werden … ich wollte beweglich sein, in meinem Geist UND in meinem Körper. Ich wollte es weiterhin genießen und eintauchen in meine Metta-Sätze … und dann war da plötzlich dieses körperliche Rufen nach Aufmerksamkeit … und sofort ging der Widerstand in mir los. Einer meiner Automatismen sprang sofort an. Ich wollte einfach keinen Hexenschuss haben. Nee, wirklich jetzt nicht! Und eigentlich überhaupt nicht mehr. Meine Gedanken waren sofort ausschließlich bei diesem Thema – auf keinen Fall einen Hexenschuss! Das wäre so gemein. Da hab ich keinen Bock drauf. Es ist doch alles gut! Warum denn jetzt ein Hexenschuss? Oh nee … das will ich nicht!!!! Als ich mir all dieser Gedanken bewusst wurde und mich dafür nicht verurteilte, sondern dem Widerstand vollstes Verständnis entgegenbrachte, war er auf einmal nicht mehr so groß und ich hatte Raum und Energie dafür, mich meinem Körper voll und ganz zuzuwenden – dem kleinen Anklopfen meines Rückens! Es war ja noch gar nichts passiert … ich hatte weder Schmerzen noch hatte der Hexenschuss bereits eingesetzt. Es war lediglich ein kleiner Hinweis, ein Ziehen, eine Körperempfindung, die mich sofort in eine „Hab-Acht-Stellung“ und tatsächlich auch in eine „Schonhaltung“ brachte. Als ich mich darauf einließ, mal zu schauen, was denn grade wirklich los ist und mir die Worte genauer anschaute, verstand ich, dass ich mich „schonen“ und „achtsam mit mir umgehen“ möchte. So legte ich mich behutsam auf mein Bett, ließ die offizielle Meditationsrunde ausfallen und ging in eine Konversation mit meinem Rücken. Mit ganz viel Wohlwollen, Neugierde, Offenheit und der Bereitschaft, zuzuhören. Das war eine ganz andere Energie als vorher – da war kein Nichthabenwollen, Widerstand oder das Gefühl der Angst und Sorge … da war vielmehr ganz große Akzeptanz, ein liebevolles Zuwenden und damit eine innere Entspannung. Es durfte auf einmal alles sein – egal wie … und das war erleichternd und berührend gleichzeitig. Und in dieser Verbundenheit konnte ich loslassen, geschehen lassen, annehmen, entspannen und ganz bei mir sein. Mein dritter Metta-Satz begleitete mich in diesem Moment sehr: Möge ich gesund sein. Möge ich gesund sein – ohne Angst oder Sorge, dass es nicht so sein könnte, sondern als Wunsch, den ich äußern möchte. Gleichzeitig war ich bereit, meine Kontrolle abzugeben und dem Leben zu vertrauen. Es war klar für mich, dass es genau so sein darf, wie es ist und wie es sich jetzt in diesem Moment zeigt. Der Wunsch an die Zukunft: „Möge ich gesund sein.“ bekam durch die Bewusstheit über den gegenwärtigen Augenblick eine enorme Kraft. Es war kein verbissenes, angstvolles, zitterndes, angespanntes – oh bitte, bitte: „Möge ich gesund sein!“ Es war vielmehr ein annehmendes, offenes, hingebungsvolles, leichtes und entspanntes: „Möge ich gesund sein.“ Und wenn die Hexe doch zuschießt, dann soll es so sein und die Situation hat einen Wert für mich, den ich vielleicht nicht sofort erkenne, dem ich mich aber öffnen möchte. Und mit diesem inneren Prozess, blieb ich für eine ganz Weile bei meinem dritten Satz: Möge ich gesund sein. Möge ich gesund sein. Möge ich gesund sein. Möge ich gesund sein. Und dann kamen von ganz alleine die beiden ersten Sätze wieder dazu: Möge ich glücklich sein. Möge ich geborgen sein. Möge ich gesund sein. Die Energie war klar und rein und irgendwie geläutert. Ich stand sanft und achtsam von meinem Bett auf. Mein Rücken schien zu lächeln und ich ging los und schloss mich der Gehmeditation der Gruppe an – mit Leichtigkeit und großer Wertschätzung meinem Körper gegenüber und um eine wesentliche Erkenntnis reicher. Möge ich gesund sein.© 2024 All Rights Reserved - Alexandra Andersen